Die Zukunft der Ernährung (3/3): Kein Selbstbedienungsladen mehr?
Roland Grüter
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Roland Grüter -
Die Geoökologin Prof. Dr. Nina Buchmann forscht an der ETH Zürich zum Thema Welternährung. Im Interview erklärt sie, wo die grössten Herausforderungen in der Nahrungsmittelproduktion sind und weshalb wir dringend unsere Ernährungsgewohnheiten überdenken müssen.
Roland Grüter: Kann man über sein Essverhalten überhaupt einen Beitrag leisten, die Welt weniger zu belasten?
Nina Buchmann: Durchaus. Wir können einiges bewirken. Denn auf dem langen Weg durch das Ernährungssystem entsteht zum Beispiel eine grosse Menge Treibhausgase: während des Anbaus, der Veredelung, der Lagerung und während des Transports von Lebensmitteln. Man schätzt, dass etwa 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen mit unserer Ernährung zu tun haben. Will heissen: Ein Drittel des Food prints, den jeder Mensch setzt, stammt von dessen Ernährungsweise.
Das Sparpotenzial ist entsprechend gross: Was müsste passieren, dass jeder von uns dies besser ausschöpft?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Vielleicht das: Wir müssen die Menschen besser informieren und stärker für das Thema sensibilisieren. Was genau umfasst das Ernährungssystem? Welche Faktoren spielen darin mit? Wir müssen mehr darüber reden. Die Diskussion muss aber nicht zwangs läufig dogmatisch geführt werden. Man kann den Menschen auch zeigen, dass Nachhaltigkeit lustvoll ist, dass die nachhaltigen Speisen sehr gut schmecken. Und wir müssen unsere Kinder lehren, woher Lebensmittel kommen und wie sie damit bewusster umgehen können. Denn ein Grossteil davon landet noch immer im Mülleimer.
Weltweit wird ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen.
Genau. In der gesamten Wertschöpfungskette bzw. im Ernährungssystem wird ein Drittel der weltweit produzierten Kalorien entsorgt – damit könnte man viele Menschen satt bekommen. Auch in Schweizer Haushalten landen tonnenweise Lebensmittel im Abfall. Hier kann jeder von uns seinen Beitrag leisten – und Foodwaste vermeiden. Denn Lebensmittel entstehen unter grossem Aufwand. Sie werden geerntet, gewaschen, sortiert, erhitzt, verpackt, um die Welt transportiert und oft gekühlt: Wenn sie weggeworfen werden, geht daher auch die Energie, die an sie gebunden ist, verloren.
Die geltenden Hygienebestimmungen befeuern die Wegwerfhaltung.
Durchaus. Die aufgedruckten Verkaufs- und Verfallsdaten halten schwarz auf weiss fest, wie lange man ein Joghurt oder die Spaghetti verkaufen oder vermeintlich essen darf. Diese Daten ersetzen aber nicht den gesunden Menschenverstand. Man kann ja sehen, riechen oder schmecken, ob ein Joghurt noch geniessbar ist, auch wenn das Datum abgelaufen ist.
Viele reden meist über die Qualität der Lebensmittel, aber kaum je über die Quantität. Im Super markt begegnen wir rund 170 000 Produkten – müsste man aus ökologischer Sicht das Sortiment nicht dringend ausmisten?
Das kann man durchaus diskutieren. Aber solche Fragen werden oft als Eingriffe in die Privatsphäre gesehen. Jede Person will frei entscheiden können, was und wie viel sie isst.
Wir geben nur rund 6 Prozent unseres Nettoeinkommens fürs Essen und Trinken aus. Sind Lebensmittel zu günstig?
Sagen wir es so: Wären Lebensmittel teurer, hätten sie für uns einen grösseren Wert, wir würden wohl achtsamer damit umgehen. Höhere Preise würden wahrscheinlich unser Budget nicht mal zusätzlich belasten, weil wir uns im Gegenzug das Geld für Weggeworfenes sparen würden. Denn wer wirft schon ein Lammrack für 30 Franken in den Kübel?
Ist das grundsätzlich möglich: Kriegen wir die 10 Milliarden Menschen der Zukunft alle satt?
Durchaus. Es gibt viele Möglichkeiten, die produzierte Kalorienmenge ist ausreichend. Zudem: Knapp 1 Milliarde Menschen hungern, aber diesen stehen 1 Milliarde Übergewichtige gegenüber. Ich bin mir sicher: Wir werden alle satt, aber wir werden unsere Ernährungsgewohnheiten über denken müssen.
Will heissen?
Die Welt kann nicht weiterhin ein Selbstbedienungsladen bleiben, in dem wir uns rund ums Jahr mit Orangen aus Spanien, Shrimps aus Asien und Kaffee aus Afrika eindecken. Wir müssen in der westlichen Welt die Kalorienzahl reduzieren, wieder mehr stärkehaltige Produkte essen, weniger Fleisch, und auch die Wege der Lebensmittel müssen kürzer oder emissionsärmer werden. Dann schaffen wir es, die Menschen mit der zur Verfügung stehenden Fläche zu ernähren. Voraussetzung dafür aber ist, dass sich der Klimawandel nicht weiter verschärft.
Die Gespräche wurden anlässlich der Podiumsdiskussion «Future Food: Was essen wir morgen» und im Rahmen der Ausstellung zu Tisch - Unsere Ernährung: Lust, Druck und Verantwortung geführt. Der Text ist ausserdem ein Auszug aus dem Interview im Bulletin #110.